Cracks and Dents (1-30), 2022
(DE)
Wir neigen dazu, kleine Macken oder Fehler aktiv zu ignorieren, als wären sie nicht vorhanden. Versuchen, Kratzer weg zu polieren und Eigenarten auszubügeln. Und wir empfinden Gebrauchsspuren als Mängel, die die ursprüngliche Qualität mindern. Obwohl Hochglanz und Makellosigkeit die Paradigmen unserer Zeit zu sein scheinen, finden wir sie doch überall: die Schrammen, Narben und Beulen, die das Leben mit sich bringt.
Lycien-David Cséry hat sich für seine Werkserie „Cracks and Dents“ (2016–2018) mit ebendiesen Imperfektionen beschäftigt. Im Fokus der Aufnahmen stehen die Gebrauchsspuren diverser Karosserien. Cséry dokumentiert eine bemerkenswerte Anzahl an Texturen, Formen und Farben von Autoteilen, deren Oberflächen sich durch Rost, Oxidation, Schmutz oder Lackabplatzungen auszeichnen. Beeinflusst wurde die Reihe durch das hohe Verkehrsaufkommen in Los Angeles, das Cséry im Rahmen mehrerer Nordamerika-Aufenthalte miterlebt hat. Auf diese Episode geht auch der Werktitel zurück: Die Bezeichnung „Crack and Dent Sale“ meint in den USA den Verkauf von Ware, die kleinere Schäden aufweist und mit einem Preisnachlass angeboten wird.
Autos sind Teil unseres Alltags, ob als notwendige Fortbewegungsmittel, Sammlerstücke oder Statussymbole. In vielen Kontexten sind sie außerdem soziale Treffpunkte, Wohnorte oder Lebensräume. Wenn man bedenkt, dass ihre wenigen Quadratmeter auch als Schutzraum fungieren können, wirken Csérys Aufnahmen umso intimer. Die Detailaufnahmen zeigen stets nur einen Ausschnitt der Karosserie und verlagern den Fokus auf ihre Besonderheiten. Durch diese Nähe wirken die Close-Ups fast körperlich, wie persönliche Aufnahmen vergangener Verletzungen.
„Cracks and Dents“ zeigt aber nicht nur die vermeintlichen Schwachstellen, sondern auch die Bemühung, Schäden durch provisorische Reparaturversuche notdürftig zu kitten. Mit großer Sorgfalt und aufmerksamem Blick dokumentiert Cséry unseren Umgang mit Beeinträchtigungen und alltäglichen Besitztümern. Die Fotografien schulen nicht nur unsere Wachsamkeit für die kleinen Unregelmäßigkeiten unserer Umgebung, sondern lässt die diversen Abnutzungen auch in neuem Licht erscheinen. Die Werkserie verdeutlicht die Schönheit und Besonderheit des Mangels, den man, wenn man nur genau hinsieht, an jeder Ecke finden kann.
(EN)
We strive to actively erase demerits and detritus: we polish away scratches, iron away wrinkles, and interpret signs of wear as a decrease in value of an object. But inspite of the sleek perfectionism that rules our contemporary ideology, we find signs of the opposite everywhere: the scars, blemishes and bruises that life inevitably brings with it.
In his series Cracks and Dents (2016-2018), Lycien-David Cséry has honed in on such imperfections. Influenced by his experience of legendary Los Angeles traffic, Cséry documented wear and tear on cars, capturing how oxidation, dirt and chance affect textures, form and color. The title of the series is a nod to American “Crack and Dent Sales” where lightly damaged goods are sold at a discount.
Motorized vehicles are a part of our everyday life, whether as a mode of transport, equipment or status symbol. They even serve as inspiration for social gatherings or even – as is often the case in California – living quarters. These contexts and Cséry’s intimate framing imbue the works with a sense of incredible familiarity. Each work’s perspective nudges the viewer to indulge in its singularity. Through this closeness, the images take on a visceral quality, reminding of personal injuries past.
However, Cracks and Dents does not only illustrate material weakness or avoidable damages, but also the touch of the human hand to machine: attempts to make urgent and often makeshift repairs to necessary components. With great care and laser focus, Cséry directs his audience to reflect on their relationships with derogation and everyday ownership. The works not only encourage our alertness for small irregularities in our environment, but also show the effects of weathering in a new light. Cséry’s photographs demonstrate the unique allure of imperfections that – upon closer inspection – can be found everywhere.
A-Z West Work Trade Residency, 2021
(DE)
Wo können wir uns den großen Fragen des Lebens besser stellen als in der Wüste?
Fragen danach, wie man leben will und was man dazu eigentlich braucht. Die Antworten
liegen eher im Kleinen, im Detail, in der mikroskopischen Betrachtung. Woraus setzt sich das Leben zusammen?
Welche Gerüche, Farben, Formen, Abläufe und Funktionen machen es aus?
Darüber hat Lycien-David Cséry (*1985; lebt und arbeitet in Buchenberg) in der kalifornischen Mojave-Wüste nachgedacht. Die Künstlerin Andrea Zittel hat dort ein Testgelände geschaffen, auf dem Besucher:Innen diesen Fragen gemeinschaftlich nachgehen können. Während des Sommers 2016 sowie im Herbst 2018 hat Cséry Fotografien angefertigt, die das Thema umkreisen. Mal wirken sie entrückt-fantastisch wie die Kulisse eines extrem ästhetischen Sci-Fi-Films aus den 70er-Jahren, mal so kühl futuristisch, als würden sie aus einer Zukunft kommen, die wir noch gar nicht kennen. Auf manchen kann man das Knistern des Windes in den trockenen Sträuchern der Wüste hören. Der Blick aus dem Inneren eines Hauses setzt sich gegen die Weite der Wüste ab und befragt das Konzept davon, wie und womit wir uns eingerichtet haben in unseren Leben.Immer wieder sieht man die silbernen Wohneinheiten, die Zittel, wie kleine Ufos in die felsige Umgebung
gesetzt hat.
Es sind die Brüche, die sich mit der Aufmerksamkeit eines Dokumentarfilmers dieser Details annehmen. So untersucht Cséry mit seiner Arbeit, wie sich die Dinge des Alltags - seine Formen, Farben, Texturen - im Leben ausbreiten und wie das, was den Menschen in seiner unauffälligen Alltäglichkeit umgibt, ihn beeinflusst.
(EN)
What better place than the desert to meditate on life’s questions?
What gives life meaning? How do we live? Answers often found in the minutiae of our day, through close observations. What is life composed of? What senses, colors, shapes and functions form it?
At A-Z West - an artist residency created by Andrea Zittel, located adjacent to California’s Joshua Tree National Park – Lycien-David Cséry (*1985; Buchenberg based) concerned himself with these exact questions. Traveling to the residency in the summer of 2016 and fall of 2018, he made photographs revolving around these theme. At times the images appear rapturously fantastic, like the backdrop of an extremely aesthetic mid-century sci-fi film; others sterile and futuristic, premonitions of a strange era yet to come. One can hear the crackling of the wind in the dry bushes of the desert; the view from inside a house set against the vastness of the desert examining concepts of how and with what we furnish our lives. Throughout the series, the silver housing units that Zittel has created reappear like terrestrial pods in the rocky, barren landscape, drawing our attention.
It is via these fractions that Cséry examines the everyday life forms, colors, and textures that affect us and provide a connection to life. Through his photographs – reminiscent of a documentary film-maker’s b-roll – we begin to understand our relationships to the mundane.